Um nach Andalsnes zu kommen, fuhren wir dieses Jahr über das Dovrefjell. Da der Himmel uns wieder hold war, lagen über der gesamten Hochebene nicht eine Wolke und kaum Wind. Die langen Stangen am Wegrand sagten uns, dass das nicht immer so ist. Wie es wohl im Winter mit drei, vier Metern Schnee und Stürmen hier ist?
So fuhren wir die einhundert Kilometer bis Andalsnes und ver- und entsorgten erst einmal, bevor wir uns auf die wohl berühmteste Straße Norwegens machten. Zwei Mal waren wir bislang diesen Weg gefahren, noch nie hatten wir so ein grandioses Wetter. Bevor es in die Höhe ging, aktivierte ich extra die Zeitraffer-Kamera, denn dieses Abenteuer wollte ich später noch einmal nacherleben können. Lange hatte ich zuhause da der Software getüftelt und nach vielen Versuchen das richtige Programm gefunden. Auf der gesamten Strecke hatte das System tadellos funktioniert.
Der Beginn der Trollstiegen ist eher gemächlich. Immer am rauschenden Fluss entlang, geht es stetig in die Höhe. Wir halten in einer größeren Parkbucht an und genießen einige Zeit am Fluss, lassen Steine tanzen, sitzen auf den Felsen in der warmen Sonne. Das Thermometer zeigt knappe 30 Grad!
Das Tal liegt in seiner vollen Pracht vor uns und man kann über viele dutzend Kilometer die abgerundeten Felswände erkennen, die einst ein Gletscher hinterlassen hat. Wie eine Halfpipe, fehlen nur noch die Skiakrobaten.
Wir fahren weiter und halten vor der ersten Spitzkehre am großen Parkplatz. Nun ist der Wasserfall und die Brücke trotz extremen Gegenlichts erstmals zu erkennen. Man sieht gut den alten Eselpfad, der sich viel steiler den Berg nach oben bahnt.
Auf dem Parkplatz dann ein kleiner Schock. Ein Wohnmobil mit plattem linken Vorderreifen, abgerissenen Verkleidungen steht am Rande. Offenbar ist ein entgegenkommender in den Wagen hineingefahren. Hoffentlich kommen wir gut nach oben.
Direkt vor der ersten Kurve ergattern wir noch einmal einen Parkplatz und wandern zum Fluss. Von hier sieht die ganze Straße noch wesentlich abenteuerlicher aus. Erst wenn man vor den Felsen im Fluss steht, erkennt man die Dimensionen und die Wassermassen, die sich auch im Sommer durch die Schlucht rauschen.
Die Straße ist nicht sonderlich befahren, wir kommen ohne Probleme bis zur Brücke und haben schon wieder Glück. Direkt vor der Brücke ist der Parkplatz frei. Das hatten wir noch nie.
Wir steigen aus und überqueren die Brücke. Erstaunt stehen wir vor dem Eselsweg, der an manchen Stellen quasi senkrecht nach oben führt. Wie kamen Mensch und Tier den Berg hinauf? Was für Qualen haben die Menschen erduldet?
Bei uns leidet nur das Getriebe und wir fahren nun das engste Stück. Ein älteres Pärchen fährt die nächste Kehre mittig an und drängt uns weit nach außen. Dabei sieht man sie fleißig durch die Scheibe fluchen – wir fluchen nicht weniger zurück.
Die letzten Meter dann sind einfach und wir haben das Plateau erreicht, wo uns ein echter Kulturschock erwartet. Das letzte Mal waren hier ein paar hölzerne Marktstände und eine Gasthütte, der Parkplatz ziemlich unorganisiert und ein paar Wege führten den Hang hinauf. Überall standen die Steinmännchen und man setzte sich auf einen Felsen, um nach unten zu schauen.
Für die Bustouristen gab es eine Plattform mit Geländer, aber das schreckte uns eher.
Heute steht ein modernes Gesamtkunstwerk auf der Höhe. Der Fluss ist kanalisiert und gestaltet, ein fester Betonweg, gibt die Richtung vor. Über den Abgrund sind künstliche Plattformen gebaut. Man kann weit über die Kante nach vorne gehen und sieht entweder durch den Boden oder durch Glasplatten direkt in die Tiefe. Nichts für schwache Nerven.
Im ersten Moment regt sich Widerstand, wie er sich bei mir auch in den Alpen geregt hat. Warum muss man die Berge zum Event machen?
Nur wenig später bereue ich meine Überheblichkeit.
Eine Mutter schiebt ihren behinderten Sohn auf die Plattform und gemeinsam schauen sie nach unten.
Früher hätte der Junge am Parkplatz zurückbleiben müssen. Nun kann er barrierefrei an diesem Erlebnis teilhaben. Ich bin hin- und hergerissen. Nicht alles, was ungewohnt ist, ist schlecht!
Eigentlich sollte ich hier oben begeistert sein: Die Sonne scheint, es ist warm, die Fernsicht ist grandios. Aber ich bin zutiefst frustriert. Die Zeitrafferkamera hat nicht aufgenommen! Der Speicher war voll und sie hat am ersten Parkplatz schon abgeschaltet. Und ich Idiot habe es nicht gemerkt, da ich nicht vor der Abfahrt noch einmal kontrolliert hatte. Beim Fotografieren achte ich auf solche Dinge peinlichst genau. Habe Ersatzakkus und Speicherkarten parat, rechne mit allen Unwägbarkeiten. Und dann passiert mir das ausgerechnet auf der wichtigsten und schönsten Strecke im ganzen Urlaub.
Immer wieder schüttele ich den Kopf. Überlege ernsthaft noch einmal nach unten zu fahren.
Irgendwann siegt die Vernunft. Wahrscheinlich werde ich nur einmal im Internet suchen müssen und ein halbes Dutzend Videos der Fahrt finden. Nein, das lohnt nicht.
Irgendwann ist der Frust verdrängt und wir genießen nur noch die Aussicht.
Beim Blick von der Aussichtsplattform fällt uns auf, dass wir vor zwanzig Jahen noch den alten Weg gefahren sind. Später bestätigt sich dies auf den alten Bildern. Eine der ersten Kurve wurde wohl entschärft und die zwei Parkplätze kamen hinzu.
Als wir weiterfahren, machen wir noch einmal Pause um das Bergpanorama in uns aufzunehmen. Eine solche Fernsicht hier oben ist unbezahlbar.
Plötzlich knattert es immer lauter und die Mädels entdecken einen Hubschrauber, der direkt auf uns zu hält. An einem Seil transportiert er zwei Paletten, eine mit Gasflaschen gefüllt. Er stellt die Paletten unmittelbar vor uns auf das Plateau, landet kurz, ein Insasse springt heraus. Der Hubschrauber steigt wieder empor und der Mann am Boden hat mittlerweile die Pritsche eines Kleinlasters bestiegen. Gekonnt, lädt der Hubschrauberpilot nun die zwei Paletten auf dem Laster ab, löst die Halterung und ist Sekunden später schon wieder in Richtung Berg verschwunden.
Das Ganze ging so schnell, dass es schon unwirklich war. Keine Sicherheitsmaßnahmen, Auto kurven neben dem Hubschrauber herum, Leute lassen sich noch schnell vor dem gelandeten Hubschrauber fotografieren. Wir fragen uns, was da transportiert wurde und wieso es hier auf Laster verladen wird. Aber die Fragen bleiben unbeantwortet.
Weiter geht die Straße bis nach Valldal. Dort setzen wir mit der Fähre über. Diesmal werden uns über 6 Meter abgerechnet. Warum wissen wir nicht. Dafür vergisst der Mann zwei Mitfahrer zu berechnen. Ausgleichende Gerechtigkeit.
Auf der anderen Seite geht es sofort wieder hoch ins Gebirge. Die Adlerstraße hat ihren Namen verdient und an dem großen See kurz vor Geiranger ist mächtig was los. Kurz überlegen wir, dort zu bleiben, aber wir wollen an den Fjord. Endlich ein paar Ruhetage.
Die Ernüchterung kommt schnell: Alle Campingplätze sind voll belegt.
So stehen wir auf der gegenüberliegenden Seite an einer Straße und hoffen morgen einen Stellplatz zu ergattern.
Auch hier boomt der Tourismus. War es uns vor zwanzig Jahren schon voll erschienen, platzt nun alles aus allen Nähten. Wie soll das erst in zwanzig Jahren werden?
Zeitraffer der Strecke:
Von Trondheim über die Trollstiegen nach Geiranger
(Leider hat an den Trollstiegen die Kamera nicht funktioniert)
Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.
2 Antworten
Moin,
wir waren / sind am gleichen Tag den Trollstigen rauf wie Ihr. Erkannt habe ich euer Mobil an der blauen Kasetten-Kiste, und da ich uns auf einem eurer Bilder wiedergefunden habe, scheine ich mich nicht geirrt zu haben ;-).
Das Unfall Mobil haben wir auch noch gesehen, er wurde wohl bei der Einfahrt auf den Parkplatz geschnitten und ist in die Steine zur Fahrbahnbegrenzung ausgewichen. Shit happens.
Gruß Niclas
Hallo,
die Kurve vom Trollstigen ist mal von einem Erdrutsch verschüttet worden. Ich wollte seinerzeit dort hoch und der Stigen war gesperrt.
Danach haben sie anscheinend die Kurve neu gebaut. In dem Jahr jedenfalls (es müßte 2009 gewesen sein), war hier kein Durchkommen.